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Phänomene

Ein Hydrogel spielt „Pong“

Simples Polymer-Gel zeigt beim Videospielen eine verblüffende Lernfähigkeit

Hydrogel-Pong
Dieses durchsichtige, glibbrige Hydrogel kann lernen, das Videospiel "Pong" zu spielen. © Yoshikatsu Hayashi/ Cell Reports Physical Science

Verblüffende Fähigkeit: Ein simples Polymer-Gel kann das Videospiel „Pong“ lernen und sich im Laufe des Spiels messbar verbessern – es fängt den Ball zunehmend besser ab, wie ein Experiment demonstriert. Obwohl das Hydrogel weder lebt noch denkfähig ist, zeigt es demnach eine Art Gedächtnis und reagiert abhängig von seinen Vorerfahrungen. Wie aber ist das zu erklären? Verantwortlich für diese verblüffende Lernfähigkeit des Hydrogels ist eine spezielle Eigenheit der in ihm enthaltenen Ionen, wie die Forscher erklären.

Ob unser Gehirn oder die künstliche Intelligenz: Die weitreichenden Fähigkeiten beider Systeme beruhen auf der Interaktion vieler simpler Grundeinheiten – im ersten Fall von Gehirnzellen, im zweiten von Knotenpunkten im künstlichen neuronalen Netzwerk. Dadurch kann auch eine Neuronen-Zellkultur lernen, „Pong“ zu spielen, wie ein Experiment im Jahr 2022 bewies. Und selbst Wassertropfen oder simple Plastikwürfel können durch ihr Zusammenspiel zu „Denkmaschinen“ oder Datenspeichern werden.

Hydrogel
Das Polyacrylamid-Hydrogel vor dem Experiment. © Yoshikatsu Hayashi

Ein Gel mit ionischem Gedächtnis

Jetzt verblüfft ein weiteres Material durch seine Lernfähigkeit: Vincent Strong und seine Kollegen von der University of Reading in Großbritannien haben einem simplen Hydrogel das Pong-Spielen beigebracht. Bei diesem Spiel aus den Anfängen der Computer-Ära gilt es, einen Ball durch Bewegen eines Balkens abprallen zu lassen und so im Spielfeld zu halten. Als Spieler diente im aktuellen Experiment ein Polyacrylamid-Hydrogel, ein dreidimensionales, wasserhaltiges Netzwerk aus Polymerketten.

Das Polyacrylamid-Hydrogel gehört zu den elektrisch aktiven Polymeren. Diese reagieren auf elektrische Stimulation durch eine Umverteilung von Ionen in ihren wassergefüllten Poren. Dadurch verändert sich ihre lokale Leitfähigkeit, aber auch ihr Wassergehalt, ihre Festigkeit und Form. Der Clou dabei: Die Ionen im Hydrogel reagieren schnell auf die elektrische Stimulation, benötigen aber weit länger, um sich hinterher wieder gleichmäßig zu verteilen.

„Das bedeutet, dass die nächste Reaktion der Ionen durch ihre vorherige Bewegung beeinflusst wird“, erklärt Strong. Erfolgt die zweite Stimulation, bevor die Ionen in ihren Urzustand zurückgekehrt sind, beginnt die Ionen-Verlagerung daher nicht bei Null, sondern von diesem bereits veränderten Zustand aus. „Im Prinzip bedeutet dies, dass das Polyacrylamid-Hydrogel damit eine Art Gedächtnis besitzt“, sagt Strong.

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Hydrogel mit Elektroden
Eine Anordnung von 2×3 Elektroden repräsentiert das Spielfeld und signalisiert die Position des Balls über elektrische Reize. © Yoshikatsu Hayashi

Mit der Übung steigt die Trefferquote

An diesem Punkt setzt nun das „Pong“-Experiment an. Die Forscher legten ein 3×2-Gitter aus Elektroden auf die wassergesättigte Hydrogel-Scheibe. Diese repräsentierten das Pong-Spielfeld und zeigten durch ihre elektrischen Reize die Position und den Weg des Balls. Weitere Elektroden dienten dazu, die Reaktion der Hydrogel-Ionen auf diese Reize zu messen und den Baken im virtuellen Spielfeld entsprechend zu bewegen: Konzentrierten sich die Ionen schnell genug an der richtigen Stelle, galt der Ball als abgefangen.

Es zeigte sich ein erstaunlicher Effekt: Obwohl es in diesem Spiel keine „Belohnung“ oder „Strafe“ für Treffer oder Nichttreffer gab, veränderte sich die Reaktion des Hydrogels mit der Zahl der Durchgänge. Am Anfang traf das Hydrogel den Ball in rund 50 Prozent der Fälle – ein klassisches Zufallsergebnis. „Aber im Verlauf des Spiels steig die Erfolgsquote auf ein Maximum von 60 Prozent an“, berichten Strong und sein Team. „Das entspricht einer Verbesserung um zehn Prozent in gut 24 Minuten.“

Das Hydrogel beim „Pong“-Spielen. © Strong et al./ Cell Reports Physical Science

Ist das schon Lernen?

Nach Ansicht der Forscher demonstriert dies, dass selbst ein simples Hydrogel lernfähig ist. „Die Ionischen Hydrogele können die gleiche Art der Gedächtnis-Mechanik entwickeln wie die komplexeren neuronalen Netzwerke“, erklärt Strong. „Wir haben gezeigt, dass Hydrogele nicht nur Pong spielen können, sondern dass sie darin auch mit der Zeit besser werden.“ Damit sind Hydrogele zwar nicht intelligent im klassischen Sinne, dennoch repräsentiert dies nach Ansicht der Wissenschaftler eine einfache Form der Lernfähigkeit.

Möglicherweise könnten solche lernfähigen Hydrogele sogar praktisch nutzbar werden, beispielsweise für einfache Steuerfunktionen, bei denen das Material auf spezifische Veränderungen seiner Umwelt reagieren muss „Wir haben gezeigt, dass Hydrogele eine Art Gedächtnis entwickeln. Der nächste Schritt ist nun, nachzuweisen, dass dies auch eine echte Form des Lernens ist, und zu überlegen, wie wir daraus den Algorithmus isolieren, auf dem dieses Lernen beruht“, sagt Strong. (Cell Reports Physical Science, 2024; doi: 10.1016/j.xcrp.2024.102151)

Quelle: Cell Press

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